Interview mit Sabine Krumrey: Auf gute Nachbarschaft
Die Projekteliste des Büros brandherm + krumrey interior architecture ist lang: Neben Aufträgen für Longstay-Marken wie HVNS oder The FIZZ gehören zahlreiche Hotels, Arbeitswelten, Co-Working-Spaces, Restaurants und Projekte aus dem Gesundheitswesen zu den Referenzen. Im Interview spricht Sabine Krumrey über die Nachbarschaft in temporären Wohnkonzepten und die Balance zwischen Treffpunkten der Community und Rückzugsmöglichkeiten für den einzelnen Bewohner.
Welche Raumangebote sind nötig, um eine lebendige Community in einem temporären Wohnkonzept zu fördern?
Hier muss man große Unterscheidungen zwischen temporären Wohnkonzepten machen, weil es sehr viele verschiedene Bedürfnisse und Bedarfe beim temporären Wohnen gibt. Was ist die Zielgruppe und wie kann eine Zielgruppe definiert werden? Entsprechend müssen die Raumangebote erstellt werden.
Eine lebendige Community heißt für mich, dass es öffentliche und soziale Bereiche geben muss. Unterschiedliche Konzepte haben unterschiedliche Anforderungen und Größen. Wenn wir z. B. über studentisches Wohnen sprechen, gehen wir davon aus, dass die Bewohner eigentlich die ganze Zeit da sind – selbst wenn sie nur für ein, zwei oder drei Semester einziehen – ist das ihr tatsächliches Zuhause, wo alles stattfindet: Wohnen, Essen, Soziales, Lernen etc. Entsprechend wichtig ist es, dass sie Freunde einladen können, aber auch einen Platz haben, um sich zurückzuziehen. Sie müssen in den öffentlichen Bereichen auch Orte finden können, wo sie laut sein und Party machen dürfen. Eine weitere Zielgruppe sind Lehrlinge, die arbeiten und über ein begrenztes Budget verfügen. Auch sie wollen ihren neuen Lebensabschnitt und eine fremde Stadt erleben.
Das entspricht natürlich keiner Zielgruppe, die im Arbeitsleben und als Businessnomade unterwegs ist. Deswegen wissen wir, dass die Zielgruppendefinition am Anfang das allerwichtigste ist, um Räume zu entwickeln. Diese Businessreisenden kommen im Normalfall montags sehr früh an, gehen arbeiten und kehren in den meisten Fällen erst abends zurück in das Apartment. Oft halten sie sich nur vier oder fünf Tage in der Stadt auf und sind dann wieder weg. Dort sind die Community-Bereiche ganz anders zu bewerten. Diese Businessreisenden brauchen eher eine Lounge, eine Bar oder einen Raum zum Zeitunglesen. Außerdem brauchen sie Vieles aus dem operativen Bereich: Waschmaschinen, ein Bügelbrett am besten auf dem Zimmer, einen Reinigungsservice.
Wollen Businessreisende überhaupt Teil einer Community sein?
Ich glaube, sie brauchen zumindest das Gefühl, dass es eine Gemeinschaft geben könnte. Es ist wie wenn man in einer Großstadt lebt und alle Angebote hat: Theater, Opern, Kinos, Restaurants etc. Allein das Wissen darum ist wichtig und macht die Großstadt aus. Deshalb ist es in Apartmenthäusern für Geschäftsreisende auch wichtig, dass diese Räumlichkeiten und Orte angeboten werden, weil sie vielleicht doch ab und zu genutzt werden. Wir sind uns sicher, dass sie weniger und anders genutzt werden. Es ist wichtig, dass es einen offenen Wohn- oder Gemeinschaftsbereich mit Küche oder Bar gibt. Wo man vielleicht eher zufällig hingeht, weil man weiß, da steht ein Weinautomat, ich kann mich hinsetzen und vielleicht ist noch jemand da.
Wie unterscheiden sich die öffentlichen Bereiche in Longstay- und Shortstay-Häusern voneinander?
Ein gutes Beispiel für einen gelungenen öffentlichen Bereich in der Hotellerie ist Motel One. Die Zimmer sind immer gleich, da weiß man sofort, was man bekommt – egal in welcher Stadt und in welchem Land.
Auf der anderen Seite ist das Faszinierende an diesen Konzepten, dass die Community-Bereiche immer unterschiedlich und von ihrem Standort geprägt sind. Die Räumlichkeiten verändern sich im Laufe des Tages: Wo morgens das Frühstücksbuffet serviert wird, ist mittags der große Co-Working-Bereich und abends befindet sich dort die coole Bar. Die multifunktionale Einrichtung eignet sich besonders für Shortstay-Häuser.
Im Longstay-Bereich sind die öffentlichen Bereiche ein Ersatz für das eigene Wohnzimmer. Die Apartments sind im Normalfall nicht groß. Community-Flächen dienen hier als Orte zum Wohlfühlen und Kommunizieren. Meiner Meinung nach müssen sie gar nicht flexibel sein, denn wenn ich zuhause bin, möchte ich auch nicht jeden Tag mein Wohnzimmer neu auffinden. In Longstay-Häusern muss ein vielfältiges Gesamtangebot da sein, das sich an der Zielgruppe orientiert, und dass die Bewohner dort ein Gefühl von zuhause bekommen.
Wie wichtig ist das gemeinsame Kochen und Essen für eine Community?
Longstay-Häuser haben immer eine kleine Küche oder Pantry, deshalb ist hier der Versorgungsbereich zum Thema Essen anders zu bewerten. Dennoch werden viele Gäste hier die gemeinschaftlichen Bereiche suchen, denn alleine zu kochen und zu essen ist in kleinen Apartments nicht immer bequem möglich oder auch sozial nicht gewünscht.
Wir stellen tatsächlich fest, dass z. B. Gemeinschaftsküchen gar nicht so stark angenommen werden, wie wir uns das immer vorstellen. Deswegen glauben wir, dass diese Räume gestalterisch attraktiver werden müssen, damit es dort nicht aussieht, wie in einer Studentenküche, in der irgendwann nur noch Pizzaschachteln herumliegen. Ich kann mir gut vorstellen, dass solche Bereiche betreut werden müssen. Dass es einen Manager aus dem Veranstaltungs- oder Tagungsbereich gibt, der Angebote macht: einmal die Woche zusammen kochen mit einem Profi-Koch, Weinproben usw., regelmäßige Veranstaltungen, an denen auch Externe teilnehmen können. Wir müssen die Hemmschwelle senken, dass Bewohner sich in Community-Küchen trauen und dort neue Leute kennenlernen und eine Gemeinschaft entstehen kann.
Wie erreicht man ein Umfeld, in dem sich die Bewohner wohl und wie zuhause fühlen?
Das Thema Wohnlichkeit ist wichtig – aber nicht mit Hotelatmosphäre, sondern ein „Zuhause-Gefühl“ sollte entstehen. Dies erreicht man, wenn man Zonen schafft, in denen sich sowohl Gruppen treffen können, aber auch der Einzelne einen Ort findet, in dem er Ruhe hat, wenn er diese sucht.
Welche Rolle spielen die öffentlichen Bereiche seit der Coronapandemie?
Sicher eine große Rolle, wobei natürlich auch die Häuser generell in der Pandemie anders bewohnt werden, so wie auch alle anderen Einrichtungen (z. B. Büros). Also ist auch hier die Frage: Wie groß sind die Apartments und was passiert dort alles? Muss dort Homeoffice stattfinden und ist das möglich? Wenn ja, dann sind die Gemeinschaftsflächen wichtig für die Ablenkung, den Abstand von Arbeit und Freizeit. Sind die Apartments klein und es gibt keine Möglichkeit, dort überhaupt im Homeoffice zu arbeiten, dann sind natürlich Rückzugsbereiche in den öffentlichen Flächen bedeutend, so wie auch Zonen zum Co-Working mit anderen.
Wie werden Wohneinheiten zu einer Rückzugsmöglichkeit?
Auch das hängt von der Zielgruppe ab, denn darüber definiert sich häufig auch die Größe des Apartments. Ein Student kann sich in einer Stadt sicherlich weniger Quadratmeter leisten als ein Businessreisender, dessen Firma das Apartment bezahlt. Nichtsdestotrotz sollten natürlich auch kleine Räume schön aussehen und individualisierbar sein. Es darf nicht alles fertig sein! Es muss eine
Möglichkeit geben, dass ein Bewohner seinen Raum auch selber besitzen und gestalten darf. Auch in Städten mit hohen Quadratmeterpreisen soll das Apartment nicht aussehen wie eine kleine Bude, sondern der Bewohner muss das Gefühl haben, dass es seins ist. Die Einheit muss anders als beim Nachbarn aussehen und man darf nicht das Gefühl haben, man liegt in einer Legehennen-Batterie, böse ausgedrückt. Das können Kleinigkeiten sein wie Set-Design, z. B. Bilderrahmen mit eigenen Bildern, verschiebbare Wände oder ein Bett, das zum Sofa wird.
Sabine Krumrey ist selbständige Innenarchitektin und hat sich 1996 mit Susanne Brandherm zusammengeschlossen. Mittlerweile hat brandherm + krumrey interior architecture Standorte in Hamburg und Köln. Das Büro gewann verschiedene Auszeichnungen und Krumrey ist seit 2015 auch als Dozentin an der AMD Akademie Mode und Design in Hamburg tätig.